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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Offener Brief an Generalstaatsanwalt Dr. Francisco Javier Verón in Asunción
von Dr. Martín Almada / Hermann Schmitz
06.02.13     A+ | a-
Dank unserer Nationalen Verfassung, seit Juni 1992 in Kraft, und aufgrund des Artikels 135 mit seiner Rechtsfigur des Habeas Data,  gelang mir am 22. Dezember 1992 die Entdeckung der Akten und anderer Unterlagen der politischen Polizei Paraguays. Ein Archiv des Terrors. Wir entdeckten es in der Produktionsabteilung der Polizei in ambaré, unweit von Asunción.Diese Aktion gelang mit Hilfe und Beteiligung des Strafrichters Dr. José Agustín Fernández, sowie aufgrund der Berichterstattung in der nationalen und internationalen Presse.

Tonnen von Dokumenten wurden in den Justizpalast verbracht, unter ihnen befinden sich die überzeugenden Beweise eines Staatsterrorismus, der über 35 Jahre in der von Alfredo Stroessner angeführten zivilen und militärischen Diktatur herrschte. Dieser Entdeckung gingen 15 Jahre geduldiger Forschungsarbeit voraus. Die aufgefundenen Dokumente bewiesen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen durch die Diktatoren Paraguays, Argentiniens, Brasiliens, Boliviens, Chiles und Uruguays im Rahmen der “Operación Condor”.

Wir sehen es als einen historischen Fortschritt an, dass diese Dokumente  für Strafprozesse in Spanien, Argentinien, Uruguay, in der Schweiz, Italien, Frankreich und Chile benutzt wurden und zu Verurteilungen und tatsächlichen Bestrafungen führten. In Paraguay besteht durch die Verfügbarkeit sorgfältig gelagerter, digitalisierter Daten eine außergewöhnliche Chance, juristische Ermittlungen aufzunehmen. Diese Quellen und Zeugnisse sind aber überhaupt nicht benutzt worden  -  weder um neue Prozesse zu beginnen, noch um jene weiterzuführen, die bereits seit Beginn der demokratischen Öffnung begonnen wurden. Ganz im Gegenteil haben in einigen Fällen die Opfer erst an den Interamerikanischen  Gerichtshof appellieren müssen, um zu einem Urteilsspruch zu kommen.Es erscheint paradox: Diese Archive wurden von Anfang an als welthistorisches Ereignis betrachtet und im Jahr 2009  durch die UNESCO sogar in die Kategorie eines  Welterbes eingestuft.

Umso unbegreiflicher muss also  -  angesichts einer solch  einzigartigen Grundlage  -  das Fehlen jeglichen Interesses und gerichtlicher Aktivitäten erscheinen! Am 28. August 2008 hat die “Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit”, durch Gesetz 2225 ins Leben gerufen, der Staatsgewalt ihren  Abschluss - bericht mit seinen Schlussfolgerungen und Empfehlungen zukommen lassen, die das Ergebnis von vier Jahren Arbeit im ganzen Land und in den Nachbarländern waren.

Präsident Fernando Lugo bat um Verzeihung im Namen des Staates und bezeichnete  die Archive als von nationalem Interesse. Trotz allem hat sich die Praxis der Straflosigkeit in unserem Land bequem eingerichtet. Die Bevölkerungruppen, die früher verfolgt wurden, wie die Ureinwohner und die Campesinos, sie werden auch heute unterdrückt. Durch wiederbelebte Strategien des kalten Krieges betreibt man eine Kriminalisierung des Protestes der Indigenen, der Campesinos und der städtischen Randbevölkerung.Ehemalige wichtige Funktionäre und Helfershelfer der Stroessnerdiktatur wurden in der Phase der Demokratisierung seit 1989 problemlos zu neuen Staatsbediensteten.

 
Die Weigerung, die Empfehlungen der Wahrheits - und Gerechtigkeitskommission umzusetzen, widerspricht dem Wesen eines demokratischen Systems, welches sich ja gerade durch die Verteidigung und die Bewahrung der Menschenrechte auszeichnen sollte und durch die strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die diese Rechte verletzt haben. Der paraguayische Staatsterrorismus ist bis heute als Erbe der Stroessnerdiktatur und seiner Lakaien virulent. Heute wie gestern greifen Richter, Anwälte, Polizei und Militär die Verteidiger der Menschenrechte an, statt sie anzuhören und sie zu schützen. Wir lassen die Campesinos und Indigenen allein und zwingen sie zur ebenso friedlichen wie verzweifelten Verteidigung  -   ohne jede politische und wirtschaftliche Unterstützung.An diesem bedeutenden Jahrestag verlangen wir erneut zu erfahren,  was wirklich bei jenem Massaker im Juni 2012 in Curuguaty passierte.

Wir stellen diese Frage umso dringlicher, als die offizielle Berichterstattung jeder Glaubwürdigkeit entbehrt.Ebenso verlangen wir vom Minister für öffentliche Angelegenheiten die Beantwortung der Frage, warum er der Aufforderung der nationalen Verfassung nach Einbeziehung  internationaler Verträge in unsere Magna Carta nicht erfüllt, warum er nicht auf die Einhaltung der in ihr fest gelegten Rechte und Garantien pocht. Warum hat er im Falle Curuguaty z. B. nicht ein geregeltes Verfahren eingeleitet zur Verteidigung öffentlichen Besitzes, nämlich jener dem Staat gehörenden 200 Hektar Land, die sich  der Unternehmer Blas Riquelme widerrechtlich angeeignet hatte? Warum tut er nichts zum Schutz der Umwelt und schützt die Bevölkerung vor immer stärker die Gesundheit schädigenden Wirtschaftsweisen?  .....

..... In Paraguay gibt es kein Schlussstrich-Gesetz oder eine Amnestie wie in anderen Ländern,  und so ist es durchaus möglich, trotz vergeudeter 20 Jahre, Ziele und Handlungsweisen zu verändern und ein drohendes Auseinanderbrechen des sozialen Gefüges in Paraguay noch aufzuhalten. Wenn nur die nötige Energie darauf verwendet würde, das auferlegte Mandat zu erfüllen und die einer Demokratie geschuldete Politik zu verfolgen.Wir machen die Generalstaatsanwaltschaft verantwortlich dafür, die Straftaten General Stroessners und seiner Komplizen und Helfershelfer aus Militär und Polizei nicht untersucht zu haben.

Wir klagen die Generalstaatsanwaltschaft einer systematischen Vertuschung an, deren Konsequenz die herrschende Straflosigkeit bedeutet. Es ist wahrlich eine Schande, dass der Generalstaatsanwalt während der 23 Jahre Demokratie zu zahlreichen Gräueltaten  geschwiegen hat -  trotz der Empfehlungen der Wahrheits- und  Gerechtigkeitskommission und dieser Fundgrube “Archiv des Terrors” mit all seinen Zeugnissen und Beweisstücken.

 
Ebenso verlangen wir,  dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht und verurteilt werden, und dass die dafür verhängten Strafen in öffentlichen Gefängnissen abgesessen werden, und zwar ohne Privilegien. Wir beklagen, dass bis heute nur einem einzigen Funktionär, dem ehemaligen Konsul von Posadas, Francisco Ortiz Téllez, der Prozess gemacht wurde. Und nur ein einziger Militär wurde verurteilt, der General Ramón Duarte Vera, ehemaliger Polizeichef Stroessners, der allerdings nie ein Gefängnis betreten hat.

Am 25. Mai 1989 habe ich gegen den Diktator Stroessner, seinen ehemaligen Innenminister Montanaro, Polizeichef Pastor Coronel, den Geheimdienstmann Britez Borges und andere Strafanzeige angestrengt wegen der Ermordung meiner Ehefrau und wegen meiner selbst erlittenen Folterungen. Durch Untätigkeit des Generalstaatsanwaltes ist das Verfahren noch immer nicht abgeschlossen, es herrscht faktische Straflosigkeit, und die ehemaligen Unterdrücker entgehen ihrer Verurteilung. Bedenklich ist auch das strafwürdige Verhalten einer Richterin, Fátima Britez, die die Anklage gegen Antonio Campus Alum, ehemaliger Chef der “Técnica”, des Folterzentrum also, jahrelang zu verhindern wusste.

An diesem 20. Jahrestag muss unser Rechtssystem mit all seinen Facetten auf eine neue Grundlage gestellt werden. Gerade weil das Archiv des Terrors vom ersten Moment an eine Abteilung der höchsten Gerichts war, verfügen seine Mitglieder doch unmittelbar über alle Dokumente, mit denen sie wirkungsvoll gegen so viele straflos gebliebene Untaten vorgehen können.  Dieses Archiv, das wir entdeckten, heißt offiziell “Dokumentationszentrum und Archiv zur Verteidigung der Menschenrechte”.  Gleichwohl hat die Staatsanwaltschaft  -  aus Untätigkeit und Unfähigkeit  -  nichts zum Kampf gegen die Straflosigkeit beigetragen. Ihre Sprüche fielen stets zugunsten der Völkermörder aus, von wenigen Ausnahmen abgesehen.  Alfredo Stroessner blieb straflos genau so wie seine Familie, seine Komplizen und Helfershelfer aus denKreisen von Unternehmern, Militärs und Polizei.

Diese Tatsache macht alle Personen, die Opfer der Diktatur waren, erneut zu Opfern, und das Andenken der Ermordetenen und der verschwundenen Gefangenen wird dadurch beleidigt.Zur Zeit kontrollieren die Familienangehörigen der Militärs und eine Clique aus der Zivilbevölkerung, die von der Diktatur profitierten,  die drei staatsgewalten, was ebenfalls die Erinnerung und das Leiden derer verlängert, die unterer diesem Unrechtssystem gelitten haben.Ich verlange heute, das staatliche Handeln wieder nach rechtsstaatlichen Prinzipien auszurichten.

 
Mit der argentinischen Justiz wurde, über die Person und Amt ihres Strafrichters Gustavo Santander Dans, ein Gemeinschaftsprojekt zur Erlangung verwertbarer Daten begonnen, mit Hilfe derer die juristische Schlacht gegen den Staatsterror in Lateinamerika befördert werden kann. Über Jahre hinweg habe ich diese Mission gefordert  - gegen den eisernen Widerstand des Richters Edgar Sánchez  -  bis der Oberste Gerichtshof unter seinem  Präsidenten Bonifacio Rios schließlich diese Mission anordnete. Nach dem Gutachten der Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission sind mehr als hundert paraguayische Bürgerinnen und Bürger als “Verschwundene” in Argentinien vermisst. Eine große Zahl lateinamerikanischer Bürger blieb für immer  in Paraguay verschwunden. Unser Land und Lateinamerika müssen endlich erfahren, was in den Dokumenten des Terrorarchivs festgehalten ist,  und zwar mit Hilfe der Richter, die für die Menschenrechte verantwortlich sind.

Der Kampf gegen die Straflosigkeit und für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung  bedeutet aber nicht, die Probleme mit einer reinen Vergangenheitsfixierung  anzugehen. Bedeutende Fragen für Gegenwart und Zukunft  des Landes sind darin eingeschlossen.  Unsere Bemühungen gelten insgesamt der Wiedererlangung eines Staates, der durch  Gesetze und nicht durch Willkür geleitet wird, ein Staat, der gewillt und fähig  ist, die Straflosigkeit zu beenden und die Straftäter nicht weiter schont. Wir brauchen keine Politik der harten Hand und null Toleranz, nötig ist vielmehr die Achtung und die Anwendung der Gesetze.

Ziel dieses Schreibens ist nicht nur, die Erinnerung an ein welthistorisches Ereignis lebendig zu erhalten und diesen beispiellosen Beitrag aus Paraguay zu würdigen. In unserem Land gibt es gewiss mannigfachen Anlass, diese Quelle zu nutzen.Auch unsere Forderung nach Gerechtigkeit soll hiermit bekräftigt werden.Dabei geht es  nicht nur um juristische Verfahren, sondern darum, die Macht der Diktatur zu beenden, die immer noch eingenistet ist im staatlichen Apparat. Wir wollen verhindern, dass schon wieder  -  schweigend oder vor aller Augen  -  neu ausgedachte, ausgefeilte Systeme  und Methoden eines Staatssterrorismus eingeführt werden.Sollten wir keine positive Antwort auf unser Gesuch erhalten, sind wir bereit, den Artikel 225 der nationalen Verfassung zu nutzen, der ein politisches Verfahren gegen den Generalstaatsanwalt vorsieht wegen schlechter Amtsführung.

Wir werden alle Instanzen auf nationaler Ebene ausschöpfen, um gegebenenfalls den interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen als den Garanten, der eine Antwort geben muss auf die Verletzungen der Menschenrechte, eine Antwort auf das Weiterbestehen der Straflosigkeit in Paraguay, die sich  hinter der Fassade einer scheinbaren Demokratie versteckt.

Wir grüßen Sie mit vorzüglicher Hochachtung!

Dr. Martín Almada
- Entdecker des Archivs des Terrors
- Träger des alternativen Friedensnobelpreises 2002
- Mitglied des Exekutivkomites der Vereinigung amerikanischer Juristen (AAJ) 

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

Hilfsverein Solidarität - Solidaridad

Fundación Vida Plena

Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

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